Der Mann am Fluss
„Der Mann am Fluss – und der Lärm der Welt“
Es war einmal ein Mann – nennen wir ihn Li – der lebte in einem kleinen, schlichten Haus am Rande eines großen Flusses. Jeden Tag saß er auf einem flachen Stein, beobachtete das Wasser und sagte wenig. Die Dorfbewohner hielten ihn für sonderbar. „Wie kann man nur so untätig dasitzen, während das Leben draußen tobt?“, fragten sie sich.
Manche hielten ihn für faul, andere für weise. Doch Li sprach nicht viel über sich. Er schaute einfach auf den Fluss, lächelte ab und zu – und ließ alles kommen und gehen.
Eines Tages kam ein junger Mann zu ihm. Die Welt hatte ihn müde gemacht. Zu viel Lärm in seinem Kopf. Zu viele Entscheidungen. Zu viele Stimmen von außen, die sagten, wer er zu sein hat.
Er fragte Li: „Sag mal, warum sitzt du einfach hier? Machst du nichts? Wartest du auf irgendwas?“
Li lächelte. „Ich tue genau das Richtige“, sagte er ruhig. „Ich lasse das Wasser fließen.“
Der junge Mann runzelte die Stirn. „Aber das ist doch nichts! Die Welt schreit. Ich muss etwas tun, etwas werden, etwas beweisen!“
Li nickte. „Ich verstehe. Ich hab das auch versucht. Ich bin gerannt, hab geschrien, gekämpft. Doch der Fluss... er fließt trotzdem weiter.“
Der junge Mann schwieg.
Li zeigte auf das Wasser. „Siehst du? Ein Ast treibt vorbei. Jetzt ein Blatt. Und jetzt... Stille. Der Fluss fragt nicht, ob du gut genug bist. Er fließt, weil das seine Natur ist. Und auch du musst nicht kämpfen, um etwas zu sein. Du bist schon vollständig – genau jetzt.“
„Aber was ist mit Zielen, Träumen, Erfolg?“, fragte der junge Mann.
Li antwortete: „Wenn du still wirst, hörst du vielleicht zum ersten Mal deine eigene Stimme – nicht die Welt. Dann weißt du, welche Träume wirklich deine sind... und welche du nur übernommen hast.“
Der junge Mann saß schweigend neben Li. Und zum ersten Mal seit langem... fühlte er sich ruhig.